Primitivo Condori steht auf dem Friedhof und blickt auf das Grab seiner Frau. Er lebt mit seinem Sohn in einem kleinen Haus fernab von Handynetzen, befestigten Straßen oder Krankenhäusern. Ein gefährlicher Ort für eine Geburt.

Condoris Frau Rosa starb vor vier Jahren, als sie ihren Sohn zur Welt brachte. Sie gehörte zu den Aymara, ein indigenes Volk in Bolivien. Als die Wehen einsetzten, war sie mit ihrem Mann allein, so wie es Brauch ist – keine Hebamme, kein Arzt, kein Krankenhaus. Und dann ging plötzlich alles ganz schnell:

Es gibt viele Männer wie Primitivo Condori in Bolivien. Viele Kinder, die ohne ihre Mutter aufwachsen. In kaum einem Land in Lateinamerika ist das Sterberisiko bei der Geburt so hoch:

Woran die bolivianischen Mütter sterben? Infektionen durch die Überreste der Nachgeburt, wie bei Rosa Primitivo. Noch häufiger: Durchfall oder Bluthochdruck. Nichts davon stellt eine ernsthafte Gefahr dar – wenn geschultes Personal die Geburt begleitet.

Doch viele Mütter, gerade auf dem Land, gebären zu Hause – ohne professionelle Hilfe. Sie meiden Krankenhäuser: zu teuer, zu weit weg – und dann ist da die Angst.

Leonarda Quispe ist eine partera – eine Hebamme nach den Bräuchen der Aymara. Die 61-Jährige arbeitet mit den Ärzten zusammen: Tradition und Moderne. Vor sieben Jahren starteten sie das Experiment im Krankenhaus von Patacamaya, einer kleinen Stadt mitten im Hochland:

Die Frauen der Aymara kommen jetzt ins Krankenhaus für die Geburten. Leonarda, die Hebamme, massiert ihren Bauch, spricht ihnen auf Aymara Mut zu, verabreicht ihnen Kräutersäfte. Denn das Vertrauen in die Heilkraft der Pflanzen ist groß:

Oregano wird bei Geburten genutzt, um das Hormon Oxyticin zu regulieren. Außerdem soll Oregano auch bei der Erholung der Gebärmutter helfen.

Mit der Weinraute werden Bauchschmerzen während der Menstruation behandelt.

Zitronenmelisse soll das Nervensystem beruhigen.

Minze hilft dem Verdauungssystem und beugt dem Auftreten von Mitessern vor.

Alles Aberglaube? Für die Ärzte war es nicht leicht, traditionelle Heiler und Hebammen mit ihren Kräuterpasten und Pflanzenarzneien zu akzeptieren:

Denn Boliviens Krankenhäuser sind seit Jahrzehnten geprägt von der westlichen Schulmedizin. Aber die neue Form der Zusammenarbeit hilft – der Gynäkologe Carlos Mileta erlebt es jeden Tag:

Die kleine Revolution im Kreißsaal wird seit sieben Jahren von Boliviens Regierung gefördert. Das Beispiel soll Nachahmer im ganzen Land finden – denn der Aufwand ist gering:

Im Krankenhaus von Patacamaya mussten sie nur kleine Dinge ändern: traditionelle Farben etwa, ein Holzbett im Kreißsaal, eine Küchennische, damit die Familie Matetee kochen kann – und die Frauen können in ihrer Kleidung gebären:

Ein gesundes Kind. Noch vor ein paar Jahren wäre es wohl gestorben, ohne ärztliche Hilfe. Aus Leonarda Quispe, der Hebamme und Carlos Mileta, dem Gynäkologen, ist ein Team geworden – ein erfolgreiches Team:

Zusammen konnten sie die Müttersterblichkeit in ihrem kleinen Ort senken – auf 0.

Das Team

Autor Felix Lill

Kamera und Schnitt Michele Bertelli, Javier Sauras

Motion Design Lorenz Kiefer, Alexander Epp

Layout Elsa Hundertmark

Programmierung Tobias Hellwig

Redaktion Jens Radü

Twitter #MothersAndChildrenFirst

Diese Recherche wurde durch das Stipendienprogramm „Innovation in Development Reporting“ des European Journalism Centre ermöglicht, finanziert wurde es von der Bill and Melinda Gates Foundation. Ausschreibungsthema des Programms waren die Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen. Die Förderer haben keinen Einfluss auf die inhaltliche Arbeit genommen.

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